Die meisten
Menschen würden wohl, wenn sie ihren Lebenslauf verfassen, mit deren Geburt
beginnen, ich hingegen möchte auch erzählen, was ungefähr 21 Monate davor
geschehen war.
Meine
Großeltern waren im hinterwäldlerischen Blumberg im Schwarzwald in keinster
Weise amüsiert, dass sich meine damals sechszehnjährige Mutter in einen sieben
Jahre älteren Mann verliebt hatte. Über das Alter hätten sie vielleicht noch
hinweg schauen können, allerdings nicht über die Tatsache, dass er der
Dorfrowdy mit schnellen Autos und noch schnelleren Motorrädern war. Auch seine
Eltern wollten nicht unbedingt etwas mit der Familie von "Der aus der
Tevesstraße" zu tun haben.
Trotzdem
entschieden sich meine Eltern füreinander und entschlossen sich ihre Liebe mit
einem gemeinsamen Kind zu besiegeln und die familiäre Dorfrevaltität zum erliegen
zu bringen.
Neun Monate
später, am 09. Februar 1976, erblickte ich als Wassermännin mit Aszendent
Schütze in Donaueschingen das Licht der Welt. Drei Monate später heiratete mein
Vater meine wieder elfenschlanke Mutter in ganz untragischer „Romeo und
Julia“-Manier. Die nächsten Jahre liegen hinter grauen Nebelschwaden, da das
Erinnerungsvermögen erst mit ca. vier Jahren einsetzt. Allerdings meine ich
mich sehr deutlich zu erinnern, dass ich den katholischen Kindergarten gehasst
habe und meine Mutter früh erkennen musste, dass ich ein Kind war, welches sehr
gut zu wissen schien, was es wollte. Ich baute lieber mit Tanja Hever alias
volksmusik-trällernde Michelle Sandburgen. Heute bin ich ihr allerdings völlig
unbekannt, was wohl dran liegt, dass wir nach der Geburt meiner Schwester
Tamara aus dem Hochhaus in Blumberg in ein wunderschönes Häuschen mit Garten
nach Hüfingen gezogen sind.
Meine
Erinnerung wurde geprägt von einer schönen Zeit in einem nicht-katholischen
Kindergarten und der hiesigen Grundschule. Von Flötenunterricht und
abenteuerlichen Nachmittagen mit meinen Freunden. Meiner besten Freundin Yvonne
und meiner Kindergartenliebe Boris. Von einer Theateraufführung in der ich die
Hauptrolle, den Frosch, spielte und einer Weihnachtsvorführung in der ich stolz
„Ihr Kinderlein kommet“ auf dem Xylophon zum Besten gab. Besuche bei meiner
Mutter im Friseursalon und Motorradausflügen mit meinem Vater. Meinen
Spinnenzoo unter der großen Tanne im Garten und nicht zu vergessen dem
Bonanzafahrrad. Außerdem erhielten wir weiteren Familienzuwachs in Form unseres
Dackelmischlings Benny. Getrübt wird die Erinnerung nur durch eine
Gehirnerschütterung, welche ich mir beim Heuballenkullern - ich bin statt wie
geplant in den Heuhaufen auf den Betonboden geplumst - auf dem Bauerhof einer
Freundin zugezogen hatte und 1984 den Umzug nach Rastatt. Damals eines der
traumatischsten Erlebnisse meines Lebens, zurückblickend konnte mir allerdings
nichts Besseres passieren, als meine Teenagerzeit nicht in einem verschlafenen Dorf
mitten im Schwarzwald verbringen zu müssen.
Nach einigen
Wochen Herzschmerz war, angesichts der neu gefunden Freunde und einer riesigen
Spielwiese hinter dem Haus, das Heimweh überstanden. Außerdem bekamen wir schon
wieder Zuwachs. Kaum das meine Schwester eingeschult wurde, kämpfte sich unser
Bruder Michael in die Welt. Damals beschloss ich zum ersten Mal meinen
eigentlichen Berufswunsch Krankenschwester an den Nagel zu hängen um Autorin zu
werden. Nicht wegen der Geburt meines Bruders, sondern wegen meiner
Deutschlehrerin Frau Gößwein. Sie hatte einen Aufsatz von mir der Rastatter
Tageszeitung „Badisches Tagblatt“ zur Publikation auf der Kinderseite
weitergegeben. „Mit Benny fing alles an“ eine wahre Geschichte von Yvonne M.,
erschienen am 05. Juli 1986, ich war mächtig stolz und sah mich schon eine
Karriere a lá Louise Lane verfolgen, Superman inklusive natürlich. Allerdings
hieß es leider weiterhin Schulbank drücken und erst einmal meine Realschul-Karriere
zu starten.
Wieder
musste ich neue Freunde finden, da die meisten meiner Grundschulfreunde auf das
Gymnasium wechselten, was ich mit Leidenschaft verfolgte. Noch heute wirft mir
eine meiner besten Freundinnen vor, mich ihr damals förmlich aufgedrängt zu
haben. Neben Englisch, Physik, Chemie und den anderen Fächern waren vor allem
Jungs Thema in meiner Realschulzeit. In der fünften Klasse schrieb ich meinen
ersten Liebesbrief und in der siebten wurde mir zum erst mal das Herz
gebrochen. Meine Tagebücher sind voll sehnsüchtigem Geschreibsel, sei es über
Schulkameraden, Schauspieler oder den Jungen an der Bushaltestelle. Es befinden
sich auch Berge von Fresszetteln in meinem Besitz, welche wir Freundinnen uns
untereinander während der Schulstunden geschrieben hatten: „Hey Sonja, Marco
sieht heute doch mal wieder echt gut aus, oder?“ „Ja du, ich glaube er hat mich
vorhin angezwinkert. Glaubst du er mag mich?“ Wir hatten Schmetterlinge im
Bauch und meine Mutter unser Nesthäkchen Timo, dessen Geburt mich tief
beeindruckte. Meine Eltern entschieden sich für eine Hausgeburt und so konnte
ich miterleben, wie mein Vater die Nabelschnur zerschnitt. Es inspirierte mich
damals Gedichte zu schreiben, was mir mal mehr, mal weniger gut gelang. Damals
entdecke ich auch die Liebe zur Musik und zur Malerei. Ich begann mir das Gitarre
spielen beizubringen und versuchte meine Ideen nicht nur in Worten, sondern
auch in Farben auf Papier bzw. Leinwand zu bringen.
Bei meiner
Berufswahl war ich jedoch nicht ganz so kreativ. Nachdem ich die
Fachhochschulreife mit Ach und Krach erfolgreich absolvierte, beschloss ich
Arzthelferin zu werden. Die Lehre machte mir unheimlich viel Spaß, dennoch
hatte ich mit 20 Jahren das dringende Bedürfnis etwas in meinem Leben zu ändern.
Die Anzeige in der hiesigen Wochenzeitung kam mir da gerade recht: „Junge
Familie in USA, Washington D.C., sucht Au-pair-Mädchen ab September“. Zu meiner
Überraschung war eine deutsche Telefonnummer angegeben. Amerika, das Land
meiner Träume, aber mein Schulenglisch war mehr als nur schlecht, wieso also
anrufen, ich hatte sowieso keinerlei Chancen. Andererseits heißt es ja Probieren
geht über Studieren. Wieso also nicht? Auch wenn ich nicht genommen werde,
hatte ich wenigstens eine Zeitlang die Chance davon zu träumen. Es blieb aber
nicht nur beim Träumen, vier Wochen später, am 24. August 1996, saß ich, nach
einem tränenreichen Abschied von Familie und Freunden, im Flugzeug Richtung
Washington D.C.. Nun hieß es für mich ein Jahr lang den Haushalt einer chaotischen
sechsköpfigen Familie zu schmeißen und mich um zwei Babys und zwei Schulkinder
zu kümmern, was nicht immer einfach war, dennoch habe ich ein Stück meines
Herzens in Amerika gelassen und das ein oder andere mitgenommen.
Zurück in
Deutschland bestand ich meine Prüfung zur Arzthelferin mit Bravur, quälte meine
Umgebung mit meinen neuerlangten amerikanischen Kochkünsten, zog von zuhause
aus, kämpfte weiter den Kampf des Erwachsenwerdens und beschloss eine Karriere
als Sekretärin einzuschlagen, da mich das Arzthelferinnen-Dasein nicht wirklich
forderte. Knapp zwei Jahre arbeitete ich für die Kassenärztliche Vereinigung,
danach für eine Pharmazeutische Firma bzw. ein wissenschaftliches Institut. Ich
erledigte die Büroarbeit eines Professors, der für mich bald zum Mentor wurde.
Er war es, der mir nicht nur bildlich in den Hintern trat und mich davon
überzeugte, dass ich mehr zu bieten hatte, als die Briefe anderer Leute zu
schreiben. Er drängte mich über mein Leben nachzudenken um zu erkennen, was ich
von der Zukunft erwarte. Die Frage war nur, sollte ich wirklich meine Hobbies
zum Beruf mache, Kunst, Literatur oder Publizistik studieren? Oder doch eher
meine weltverbesserische Ader ausleben und mich für Medizin oder Psychologie
entscheiden? War ich gut und schlau genug? Um diese Fragen zu klären und mir
vor allem auch die Türen der Universitäten zu öffnen, entschied ich mich meine
diversen Nebenjobs und Freizeitgestaltungen einzustellen um erneut die Schulbank
zu drücken. 2002 meldete ich mich am Abendgymnasium in Rastatt an. Gleichzeitig
nahm ich eine neue Stelle als PR-Assistentin war, was für mich so viel hieß
wie, täglich neun Stunden Probleme lösen, Ideen umsetzen, Pressegespräche
mitplanen, Einladungen und Programme layouten, mit Journalisten verhandeln, die
firmeninterne Kommunikation verbessern und nebenbei noch den Kleinkram zu
erledigen, um dann abends vier Stunden als aufmerksame Schülerin den Lehrern zu
lauschen und gute Klausuren zu schreiben. Zurückblickend waren es unglaublich
lehrreiche und stressige drei Jahre, dennoch hat es sich gelohnt. Seit diesem
Jahr habe ich ein gutes Abitur in der Tasche und eine Auszeichnung für
besondere Deutschleistungen am Gymnasium (Scheffel-Preis 2005). Außerdem wurde
mein Englisch aufgefrischt und gezwungenermaßen kann ich nun auch gestammelfrei
in Frankreich einkaufen.
Vor allem
waren die letzten drei Jahre aber eine kreative Inspiration. Zwar hatte ich
schon immer einige Ideen für Kurzgeschichten, Bücher, Gedichte oder Dialoge im
Kopf, am Abendgymnasium jedoch wurden diese potenziert. Da liegt es nicht fern,
mich für den Studiengang Szenisches Schreiben zu bewerben. Ich habe das Talent
und die Ideen, was mir fehlt ist die Technik um die Flut meiner Gedanken auf
Papier zu bringen und die Möglichkeit verschiedene Genres, Strukturen und Stile
zu entdecken. Ich möchte lernen mich mehr für das Schreiben zu öffnen und aus
mir heraus zu kommen um alle Seiten meiner Persönlichkeit einfließen zu lassen.
In der
Zukunft sehe ich mich nicht mehr als Louise Lane, eher als „kleinen Zeh“ von
Jarmusch, Wenders oder Tarantino und hoffe Sie werden mir dabei behilflich
sein.
(YM
21.10.2005)
Diesen Lebenslauf habe ich im Zusammenhang einer Bewerbung an der Freien Universität der Künste in Berlin geschrieben. Finde ihn aber so gut, dass er hier einen Platz bekommt. Bin sogar bis zur Endauswahl gekommen. Habe mich dann aber in Graz für das erste Semester Medizin eingeschrieben. Was wäre wenn...?
AntwortenLöschensensationell...übrigens die beste Freundin in der Grundschule...das bin ich :-)
AntwortenLöschenGenau, Yvonne! Danke für die Blumen! :o)
AntwortenLöschen